Ein Gemeindehaus fürs ganze Dorf
Weingarten. Will man die Geschichte des Protestantischen Gemeindehauses in Weingarten betrachten, muss man an den Anfang der 60er Jahre zurückblenden. Bis dahin war es das evangelische Schulhaus mit zwei Schulsälen im Obergeschoss. Die Klassen 1 – 4 waren wie die Klassen 5 – 8 in je einem Raum zusammengefasst. Unten war eine kleine Wohnung und die Residenz des Bürgermeisters mit einem hauptamtlichen Sekretär und dem Gemeindediener untergebracht. Nach dem Bau eines neuen überkonfessionellen Schulhauses für Weingarten und Freisbach in der heutigen Schulstraße und dessen Einweihung am 12. April 1964 wurden die beiden alten Schulhäuser in der Hauptstrasse und der Neugasse nicht mehr gebraucht. Während aus dem katholischen Schulhaus das heutige Rathaus entstand, wurde das evangelische Schulhaus vom Presbyterium der Prot. Kirchengemeinde aufgekauft und neu genutzt.
Jakob Schick, wohnhaft in der Spittalstrasse 2, hinterließ sein ganzes Vermögen per Stiftung der protestantischen Kirchengemeinde. Diese verkaufte das Anwesen 1963 um Mittel für den Ankauf des evangelischen Schulhauses zu gewinnen. Das Schick-Gelände wurde von einem angrenzenden Nachbarn erworben, das Haus selbst 1973 abgerissen. Nach einem kleinen Umbau des neu erworbenen Schulhauses durch die Prot. Kirchengemeinde wurde 1967 der neue Gemeindesaal eingeweiht. Die beiden ehemaligen Schulräume wurden zu einem zusammengefasst, der durch eine Schiebetür je nach Bedarf geteilt werden konnte. Im unteren Stockwerk entstand eine weitere Wohnung.
Mit dieser Situation war man zufrieden bis Ende der 90er Jahre. Nach Einführung eines neuen Presbyteriums 1985 strebte man für Weingarten wieder eine eigene Pfarrstelle an, was durch intensive Gespräche mit der Personalstelle der Landeskirche auch gelang.
Am 16. April 1986 kamen Christian Schad und Gerlinde Wnuck-Schad als neues Pfarrerehepaar in unsere Kirchengemeinde. Jetzt musste das Pfarrhaus, durch Vermietungen heruntergekommen, neu renoviert werden. Während der Bezirkskirchenrat für einen Neubau plädierte, hielt das Presbyterium an seiner Meinung fest, den Dorfmittelpunkt in seinem historischen Ambiente Kirche, Pfarrhaus und Gemeindehaus zu erhalten. Nach einer Bauzeit von 15 Monaten und einer Investition von 395.000.- DM konnten Schad’s im Mai 1987 einziehen.
Das nächste Bauprojekt ließ nicht lange auf sich warten und so wurde 1988 / 89 die Kirche selbst in Angriff genommen. Von innen bis außen, vom Dach über den Turm bis hinauf zum Hahn wurde für ein Volumen von 320.000.- DM saniert und barrierefrei erneuert.
Nach dem Weggang von Pfarrerin Gerlinde Wnuck-Schad – Christian Schad war schon früher erst nach Landau und dann nach Speyer gewechselt – kam nach einer Vakanz von nur drei Monaten Pfarrerin Belinda Spitz-Jöst im August 1997 in unsere Kirchengemeinde. Da war das Presbyterium längst wieder am planen wie man das Gemeindehaus an die neue Generation anpassen könnte: Ein Gemeindesaal sollte ebenerdig und barrierefrei zugänglich sein!
Das konnte in der bestehenden Bausubstanz nicht realisiert werden. Über 10 Jahre arbeitete das Presbyterium an der Ideenfindung und sammelte fleißig Geld. Kirchenmitglieder wurden befragt, dazu Gemeindeversammlungen veranstaltet. Ein Neubau im Pfarrgarten an der Hauptstrasse, gemeinsam als Front mit der VR-Bank schien die ideale Lösung für beide zu sein. Vorne das repräsentative Gesicht der Bank und dahinter, von der Spittalstrasse zugänglich, das Haus für die Kirchengemeinde.
Durch schwankendes Interesse bei der VR-Bank besann man sich im Presbyterium auf die alte Idee mit dem historischen Ambiente der drei Gebäude im Dorfmittelpunkt, verkaufte den Pfarrgarten und strebte eine große Lösung mit dem bestehenden Gemeindehaus an.
Mit Architekt Deckler aus Landau fanden wir einen einfühlsamen Planer, der mit uns das aufwendige Bauvorhaben begleitete. Das Haus wurde völlig entkernt, wodurch im Erdgeschoss, nach Auflösung von zwei Wohnungen, ein 110qm großer Saal entstand. Er wird durch eine moderne Küchenzeile ergänzt und ist barrierefrei von der Hofseite her zugänglich, wo sich ein Wintergarten-ähnliches Foyer in Glas-Stahl-Konstruktion anschließt. Über einen neu errichteten Treppenturm erreicht man Toiletten und Gruppenräume im Obergeschoss. Eine Behindertentoilette ist im Erdgeschoss ebenerdig erreichbar. Nach 10 monatiger Bauzeit, einer hohen Belastung für Presbyterium und Pfarrerin Belinda Spitz-Jöst konnte im Mai 2004 das neue Haus feierlich eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden. Architekt und Bauleiter Kurt Deckler überreichte dem langjährigen Vorsitzenden des Presbyteriums Hans Günter Besau den symbolischen süßen Schlüssel, entworfen und gebacken vom örtlichen Bäckermeister Michael Keller.
Die größte Kraftanstrengung spielte sich jedoch im Hintergrund ab. Das Projekt verschlang rund 670.000.- € und war zum Schluss, weil man den großen Hof noch pflastern musste, mit rund 60.000.- € unterfinanziert. Vorausschauend hatte das Presbyterium bereits 1998 einen Bau- und Kulturverein e.V. gegründet, um neben dem Kirchenhaushalt mit weiteren Vereinsinitiativen Geld zu sammeln.
So entstand der Kulturfrühling mit Dinnerkrimi, die Bistroabende, die Fortführung des Silvesterumtrunks und viele Aktivitäten mehr. Außerdem kümmerte man sich um Sponsorgelder beim Kulturfrühling, indem man regionalen Künstlern eine Bühne bietet. Das honorieren uns seit über 15 Jahren sowohl die VR-Bank Südpfalz, wie auch die Sparkasse Germersheim-Kandel, wofür wir sehr dankbar sind.
Die 60.000.- € wurden inzwischen vom Bau- und Kulturverein abgezahlt, aber jetzt heißt es weiter für den Erhalt zu sorgen, der aus dem Haushalt der kleinen Kirchengemeinde nicht finanzierbar ist. So wird im Dezember nach 11 Jahren der Saal neu gestrichen und im Hof das Jugendhäusel (das ehemalige Toilettenhäusel der Schule) optisch aufgefrischt.
Die Planungen und die enormen Anstrengungen haben sich gelohnt. Das Haus ist in der Gemeinde gut angekommen und wird auch privat gern und viel genutzt. Auch die Landfrauen haben für Ihre Wintersaison bei uns eine neue Heimat gefunden. Sein mediterranes Ambiente, das geräumige Foyer und der tolle Hof helfen, dass sich bei vielen Feierlichkeiten, ob runder Geburtstag oder Hochzeit, alle wohl und zuhause fühlen. Dazu kommt die gut bestückte Küche mit einheitlichem Geschirr, Gläser für jedes Getränk, sowie Profispülmaschinen und ausreichend Kühlschränke. Im 3. Vers aus den Sprüchen Kapitel 24 heißt es: „Durch Weisheit wird ein Haus gebaut und durch Verstand erhalten.“
So wünsche ich dem Haus für unser ganzes Dorf weiterhin viele fröhliche Gäste , gute Gespräche und ein vorausschauendes Presbyterium, das mit Weisheit und Verstand weiter seine Zukunft sichert.
Hans G. Besau